20 Jahre ohne eines meiner Kinder

22. Dezember 2022 2 Von Ina

Heute ist der 20. Todestag meiner unendlich vermissten Tochter. Wie geht es mir? Ich kann sagen, es geht mir gut. Seit einiger Zeit, an nahezu jedem Tag des Jahres, kann ich das sagen. Aber nie, seit zwanzig Jahren nie an den Tagen vor ihrem Todestag. Es betrifft eigentlich den ganzen Dezember…  Ich erinnere mich der vielen Dinge, die ihre letzten Tage ausmachten. Was haben wir früher zusammen Kekse gebacken, Weihnachtslieder rauf und runter gesungen, Adventskalender gebastelt und natürlich gab es Heimlichkeiten. Wir haben uns immer auf Weihnachten gefreut, jedes Jahr. Viele Jahre gab es ein Adventskonzert und so auch in dem verhängnisvollen Jahr. Mein Töchterchen hat mit einem befreundeten Jungen einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt der Schule betreut. Was haben sie herumgealbert. Sie hat meine Kinder mit betreut. Wir waren selbst auf dem Weihnachtsmarkt in Kassel. Das haben wir immer gern gemacht, mal schlendern und bummeln, nach schönen Sachen für den Weihnachtsbaum schauen. Wir waren zufrieden und voller Vorfreude. Seit 20 Jahren ist es im Dezember immer dasselbe. Natürlich feiern wir Weihnachten. Seitdem bei uns noch einmal Kinder Einzug gehalten haben, machen wir das. Und ich freue mich darauf. Aber es ist anders. Weihnachtsmarkt ist nicht mehr drin, jedenfalls nicht in Kassel. Und wenn, dann ist es weit weg und meist nur ein Darüber laufen ohne zu verweilen. Nur mal schauen. Plätzchen backe ich alleine und dabei bin ich in Gedanken bei meiner Tochter. Der ganze Dezember hängt mir schwer auf den Schultern und eigentlich gibt es nur zwei Dinge, die ich gern tun würde. Zum einen allein sein, nicht reden müssen, nichts tun müssen außer Zeit zu haben, mich zu erinnern und zum anderen, welch ein Widerspruch, möchte ich über diese vergangene Zeit reden dürfen, über meine Traurigkeit, über mein Vermissen. Beides geht nicht, weder das eine noch das andere. Also gebe ich mir Jahr für Jahr Mühe, mit Freundlichkeit und meist viel Stille den Dezember zu schaffen. Zumindest bis zum Todestag. Danach wird es wieder besser. Ich denke, so wird es bleiben. Viele denken noch an sie und schicken mir einen lieben Gruß. Das ist tröstlich. Ich weiß auch, dass viele in dieser schlimmen Zeit zutiefst erschüttert waren. Sie denken noch an Sandra. Aber am Ende ist sie es, deren Leben kaum richtig begonnen hatte und schon wieder beendet war. Sie war so lebenslustig, schon voller Pläne für ihre Zukunft. Diese waren in einer Sekunde zerstört. Und damit auch unser Leben. Und das Band, was mit einer Nabelschnur beginnt und leise im Leben Eltern und Kinder verbindet, ist immer noch da und hält jetzt schmerzlich die Erinnerungen zusammen, lässt die Sehnsucht wachsen, dass es da noch etwas gibt. Etwas, was ein Wiedersehen sein soll. 20 Jahre ein Kind vermissen, das ist das Schlimmste, was es für Eltern geben kann. Das ist lebenslänglich auf eine ganz besondere Art.